Deutsche Fassung hören >>
Russisches Original von Vladimir Vysotsky hören >>

Alte Zeiten sind vorbei

In den alten Zeiten war
Alles besser, das ist klar.
Jeder weiß das selbst, nicht wahr?! Und sogar
  Mir hat erst ein Typ erzählt,
  Alle Märchen auf der Welt
  Seien nicht mehr aktuell und nichts wert.

Deren Zeit sei längst vorbei,
Die Gedanken sind nicht frei,
Unklar, ob noch sitzt am Rhein Lorelei...
  Ich persönlich glaube ihm,
  Und das ist nur halb so schlimm,
  Aber so was ahnten nicht die Brüder Grimm.

Der langen Reden kurzer Sinn:
Futsch ist futsch, und hin ist hin.
Längst nicht alles steht im Märchenbuch drin.
  Und es fehlt zwar ein Beweis,
  Für den ganzen diesen Scheiß,
  Aber ich erzähle das, weil ich’s weiß.

Deutsche Wälder sind fast leer,
Dort gibt’s keine Hexen mehr,
Auf dem Brocken blieb’n drei Stück ungefähr.
  Und das ist schon lange her,
  Als sie flogen kreuz und quer –
  Nahmen teil am Luftverkehr immer gern.

Diese Zeit ist längst vorbei,
Man hat leider keinerlei
Achtung mehr vor Hexen und Hexerei.
  Mir erzählte nebenbei
  Eine Hexe aus Altai,
  Die zum Hexenfest nach Harz kam im Mai:

„Leider hat mein Traumberuf
Heutzutag’ `nen schlechten Ruf
Und deswegen kam auch ich in Verruf.
  Man behauptet, ich sei bös,
  Steinalt, hässlich, mitleidlos...
  Diese Gräuelmärchen sind schikanös.

Ich war auch jung, hübsch und nett,
Hab Napoleon erlebt,
Ich war Krankenschwester im Lazarett.
  Damals war ich noch kokett
  Und verliebt in `nen Kornett,
  Mit ihm hatte ich paar Mal tete-a-tete.

Obwohl ich ein Kind gern hätt’,
Klappte’s nicht mit dem Kornett,
Später auch nicht, aber jetzt ist`s zu spät...
  Mein Kornett fiel irgendwo
  Bei dem Dorf Borodino.
  Das ist hundert Jahre her, oder so...

Ich ergab mich in mein Los –
Leider bleib ich kinderlos,
Ich werd` sehr kapriziös und nervös.
  Na, kein Wunder, wenn man lebt
  Ganz allein am Arsch der Welt,
  Ich bin Waise – keine Mutti, kein Dad...

Mir ist gar nicht wohl zumut`,
Denn mein Besen ist kaputt –
Kann nicht fliegen und das tut mir nicht gut.
  Ich lief mir schon die Füße wund,
  Bin gefallen auf den Mund,
  Kam in Teufels Küche und auf den Hund.

Ich bin ganz und gar konfus,
Denn zu allem Überfluss
Kriegte ich `nen Hexenschuss und zum Schluss
  Einen Kniegelenkerguss,
  Denn im Wald gibt`s keinen Bus
  Und ich viel zu viel zu Fuß gehen muss.

Endlich wollte ich um Rat
Bitten den Kollege Schrat –
Alle diese Leiden hatte ich satt.
  Nur von Mitleid - keine Spur,
  Und der Schrat wies mir die Tür –
  „Keinen Rat mehr ohne Praxisgebühr!“

Er – der Schuft – hat Geld wie Mist,
Nur er ist kein Altruist,
Sondern ein verdammtes Biest. Antichrist!
  Wie du selbst, mein lieber, siehst
  Auch das Hexenleben ist
  Hart und bitter, tückisch – List wider List!“

Die Hexe ward weiß wie die Wand,
Sie hustete und dann verschwand –
Spurlos, schnell und elegant aus dem Stand.
  Ich blieb stehen steif und starr...
  Jetzt vermiss` ich sie sogar...
  Sie kommt wieder nächstes Jahr, das ist klar.

Und ich weiß aus erster Hand –
Denn wir sind entfernt verwandt –
Schneewittchen ist nicht ganz bei Verstand,
   Ihre Schönheit längst verschwand,
  Sogar Spieglein an der Wand
  Meint sie sei nicht mehr die Schönste im Land.

Und noch so `ne Schweinerei –
Ihr Gemahl hat keinerlei
Angst vor erstem Kinderschrei, zweifelsfrei!
  Und das Schneewittchen war
  Schwanger praktisch jedes Jahr,
  Seit sie mit dem Königssohn sind ein Paar.

Einer von den Söhnen schlägt
Aus der Art sehr ausgeprägt
Und der Vater überlegt aufgeregt:
  Wer war da eigentlich am Werk?
  Alle Jungs sind groß, wie `n Berg,
  Nur der älteste sieht aus wie ein Zwerg.

Die sieben Zwerge sind auch jetzt
Eine Seele und ein Herz,
In den Bergen suchen sie nicht mehr Erz.
  Im Erzgebirge ist es bloß
  Nach der Wende nicht viel los,
  Alle frei sind endlich und arbeitslos.

Auch die Zwerge sind jetzt frei,
Alle sieben – vier und drei,
Sie bereuen nichts – vorbei ist vorbei!
  Sie verdienen ärgerfrei
  Im Circus Krone nebenbei
  Und als Gartenzwerge in Gärtnerei.

Das war alles in der Tat, das ist leider wahr
Der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.
Und was jetzt? Kommt Zeit, kommt Rat... Da läuft eine Maus!
Wenn jemand sie gefangen hat, dann ist das Märchen aus.

Mit berühmter Bremer Band
Gibt es auch kein Happy-End.
Schade, aber jeder friend lebt getrennt.
  Alter Esel – ihr Ex-Boss –
  Wurde mürrisch und nervös,
  Nahm leicht ab. Was hat der bloß? Was ist los?!

Ohne Frau und ohne Flirt
Geht `s nicht mehr, hat er kapiert –
Ganz normal war dieses Tier orientiert.
  Er fand sich irgendwo im Zoo
  Eine Braut mit großem Po,
  Wurde wieder brav und so lebensfroh.

Und der Hahn flog schon hinaus,
Lebt nicht mehr im Räuberhaus,
Eines Tag `s nahm er Reißaus und das war `s.
  Er hat sicher schon `nen Knall,
  Denn er hört ja überall
  Vom Zugvögelüberfall vom Ural.

Man setzt bald die Hühner fest,
Wegen der Geflügelpest,
Und der Hahn ruft alle auf zum Protest.
  Engagiert – wie Willy Brand –
  Kämpft der Bremer Musikant
  Für die Vögelrechte im Vaterland.

Alte Katze geht schon lahm,
Hat im Leibe keine Scham –
Träumt von `nem gestiefelten Bräutigam.
   Sie stieß neulich irgendwo
   Auf ein Buch von Charles Perrault,
   Und seitdem hat sie im Ohr einen Floh.

Plötzlich hat sie sich verknallt,
Aber sie hat nicht geschnallt,
Dass für diesen Kater ist sie zu alt.
  Und sie hat auch nicht kapiert,
  Dass er gar nicht existiert –
  In den Kindermärchen wird phantasiert.

Die Nachricht geht von Mund zu Mund,
Dass der Hund kam auf den Hund,
Lebt verwildert, einsam und ungesund.
  Man erzählt, der Hund Packan
  Streicht durch Bremen ab und an...
  Ich sah ihn auf der A1 Autobahn.

Das war alles in der Tat, das ist leider wahr.
Der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.
Und was jetzt? Kommt Zeit, kommt Rat. Da läuft eine Maus!
Wenn jemand sie gefangen hat, dann ist mein Märchen aus!

Aschenputtel lässt sich schon
Trennen von dem Königssohn,
Pfeift sie auf den guten Ton, und auf den Thron.
  „Wirf “,- schreit sie ihm rappelig, -
  „Gold und Silber über mich!
  Oder morgen gehe ich auf den Strich!“

Aschenputtel kennt den Pfiff,
Sie ist gar nicht so naiv,
Nur die erste Ehe lief leider schief.
  Sie hat alles jetzt im Griff –
  Ihre Schwester mit der Stief-
  mutter leben jetzt am Meer im Schloss If.

Ex-Frosch-König ist zutiefst
Resigniert, denn – so ein Mist! –
Lieber Sohn wurde Marxist-Leninist...
  Und empört ist er zugleich -
  Er sei nicht so einflussreich,
  Wie jetzt deutscher Kaiser aus Österreich.

Man erzählt, Rotkäppchen kam
Durch den Zufall zum Islam,
Läuft im Kopftuch auf dem Kurfürstendamm.
  Vielleicht wohnt sie nebenan,
  Sieht schlank aus dank Ramadan,
  Hat auch rotes Käppchen an, dann und wann.

Dornröschen – mit einem Schlag –
Fand an Spinnerei Geschmack,
Spinnt und spinnt den ganzen Tag, weil sie `s mag.
  Leider schläft sie jetzt fast nie,
  Keine Spur von Lethargie,
  `ne Schlafmittelallergie kriegte sie.

Hänsel fühle sich tipptopp,
Gretel aber hängt am Tropf –
Letzte Zeit stimmt etwas nicht mit dem Kopf:
  Die Gedanken sind nicht frei –
  Sie ist immer noch dabei:
  Hört den letzten Hexenschrei, schubst sie `rein.

Das ist allgemein bekannt –
Alte Hexe ward verbrannt.
Seit am Tatort ein Museum entstand,
  Strömt zum Brothäuschen im Wald
  Neugieriger Jung und Alt,
  Jetzt bereuen alle halt die Gewalt.

Also, Leute, zweifelsfrei
Ist das keine Lügerei,
Dass die gute alte Zeit sei vorbei.
  Wie gesagt war zu Beginn
  Steht jetzt nicht mehr alles drin
  In den Märchenbüchern von Brüdern Grimm.

War das wirklich in der Tat? Wenn das alles war,
Dann hab ich das Märchen satt, das ist sicher wahr.
Aber jetzt läuft ab die Frist, keiner fängt die Maus.
Nur mir reicht `s jetzt! Endlich ist dieses Märchen aus.

© Igor Golubev. Übersetzungen, Vortrag, 2001 -2012